Dr. Christian Mikunda über die Gestaltung augenoptischer Fachgeschäfte
Anlässlich der opti 2014 befragte Andreas Ritter, Pressereferent der GHM Gesellschaft für Handwerksmessen mbH, den bekannten Ladendramaturgen Dr. Christian Mikunda zu dreidimensionalen Schlagzeilen und gestalterischen Visionen augenoptischer Fachgeschäfte.
Herr Dr. Mikunda, Sie haben den Begriff „Strategische Dramaturgie“ geprägt. Was steckt dahinter?
Für mich ist ein Shop immer auch eine Bühne. Ich möchte den Menschen die Geheimnisse dieser Bühnen erklären. Wie kann eine emotionale
Wirkung optimiert werden? Welche psychologischen Mechanismen und dramaturgischen Kunstgriffe beeinflussen das Einkaufserlebnis? Die Strategische Dramaturgie ist dabei eine Theorie der Wirkungssteigerung: Wie sorge ich dafür, dass sich der Kunde in meinem Laden wohlfühlt?
Sie sprechen davon, dass jeder Laden einen Gummizug braucht, der in das Geschäft hineinzieht. Bezogen auf ein augenoptisches Fachgeschäft: Was kann dieser Gummizug sein?
Große Augen auf Displays im Schaufenster zum Beispiel, die einen anblinzeln, wenn man vorbeigeht. Die Augen machen schnell klar, worum es geht. Sie sind Header, dreidimensionale Schlagzeilen, die außen zeigen, was einen drinnen erwartet. Hinzu kommt: Augen sind so genannte affektive Primärsignale, wie rote Lippen oder etwas zu Essen. Sie sind Stopper, auf die wir sehr stark reagieren und die die Aufmerksamkeit nach oben schnellen lassen.
Die Realität, sagen Sie, sieht aber vielfach etwas anders aus?
Viele Optiker packen ihre Schaufenster voll mit Ware. Das ist etwas, was meine Mitarbeiter und ich als „Gerümpel totale“ bezeichnen – ein Durcheinander, bei dem man gar keine Lust mehr hat, sich mit dem Produkt zu beschäftigen.
Trotzdem muss ich doch im Schaufenster zeigen was ich anbiete…
Es heißt nicht umsonst „Weniger ist mehr“. Die Frage ist: Will ich viele Produkte oder viele Kunden in meinem Laden haben? Natürlich kommt es auf die Philosophie des Shops an: Bin ich Lifestyle-orientiert oder eher bodenständigkonservativ. So etwas wird sich natürlich auch im Schaufenster widerspiegeln. Wichtig ist ein Spannungsbogen, der den Kunden in den Laden führt.
Wie kann ein solcher aussehen?
Ich bringe die Kunden mit einer Geste in meinen Laden. In den vergangenen Jahren hat es gerade bei den Augenoptikern einen Paradigmenwechsel in Richtung Lifestyle gegeben. Eine Brille ist heute ein Designobjekt, ein modernes Kunstwerk. Deswegen ist ein Optikgeschäft heutzutage oft eine Art Galerie.
Inwiefern?
Es gibt Shops, in denen sitzen die Brillen auf Metallschleifen, die an eine Kopfform erinnern. So kann sich der Kunde vorstellen, wie die Brille im Einsatz aussieht. Wenn er die ausgestellten Brillen sieht und dann an ihnen entlanggeht, stellt sich ein „Joy-Effekt“ ein: Der Dopamin- Spiegel steigt, der Kunde fühlt sich glücklich. Er kann schauen, stöbern und nach Herzenslust Brillen anprobieren.
Wie bringt man Erlebnis und Fachkompetenz in einen Laden?
Bei größeren Läden kann die Hauptattraktion eine Stelle oder eine interaktive Geschichte sein. Wer sich auf Sportbrillen spezialisiert, kann ein Fahrrad aufstellen, auf das sich der Kunde setzen kann, und einen Ventilator, der ihn anbläst. Hier kann der Kunde selbst spüren, welches Modell das Richtige ist. Ob großer oder kleiner Shop, wichtig ist, dass der Augenoptiker Fachkompetenz besitzt. Schließlich hat die Entscheidung, zu einem Optiker zu gehen, viel mit Vertrauen zu tun. Die Kunden wollen das Beste für ihre Augen. Hinzu kommt: Eine Brille ist heute oft Lifestyle-Accessoire, mit dem man auch etwas ausdrücken will, und das zum jeweiligen Typ passen muss.
Welche Rolle spielt der Augenoptiker?
In einem kleineren Fachgeschäft ist er die „Core-Attraction“, die Hauptperson. Er kann in seinem Laden seine Vision umsetzen und die passende Bühne um seine Person herum bauen. Und wenn er selbst eine Brille trägt, ist er gleich sein eigenes Testimonial.
Wenn der Augenoptiker doch so im Mittelpunkt steht, warum ist dann gutes Shopdesign so wichtig?
Wie Hotels und Museen sind auch Geschäfte Orte, an denen man sich emotional auflädt, an denen sich der Besucher wohlfühlen soll. Sie gehören zum Urban Design einer Stadt und da ist auch gutes Shopdesign und eine gute Schaufenstergestaltung gefragt. Eine billige Schaufenstergestaltung zerstört die Wirkung der Läden rechts und links und das Geschäft gegenüber gleich mit.
Gibt es „Todsünden“ für einen Shop oder anders gefragt, was sollte man Ihrer Meinung nach unbedingt vermeiden?
Für mich ist es ein No-Go, wenn der Laden nicht durchgestaltet ist. Genauso wie es eine Verantwortung gibt, nachhaltig oder barrierefrei zu sein, gibt es meiner Meinung nach auch eine ästhetische Verantwortung. Ich selbst gehe in keine schlecht gemachten Läden mehr, es sei denn ich bin mit dem Inhaber gut befreundet – oder ich habe dort einen Auftrag.
Ganz generell: Wie oft sollte ich meinem Laden eine Renovierung gönnen?
Die Mode dreht sich in der Regel alle drei bis vier Jahre. Deshalb sollte ich alle vier Jahre schauen, ob die Farben, die Stühle und Spiegel noch passen. Kleinere Umbauten sollte man alle sieben bis neun Jahre in Erwägung ziehen. Sie sorgen dafür, dass der Kunde das Gefühl bekommt, der Laden sei ganz neu. Nach zwölf bis 15 Jahren ist es an der Zeit, sich den ganzen Shop genau anzuschauen, ob das Konzept noch trägt. Auch dann muss ich nicht alles auf den Kopf stellen – eine Kirche baut man ja auch nicht ständig um. Die Epoche aus der sie stammt, sieht man ihr allerdings auch an.
Sie sind selbst kein Ladenbauer, sondern Psychologe, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftler. Worin besteht Ihre Aufgabe?
Wir sind Dramaturgen und sehen uns als eine Art Geburtshelfer. Unsere Aufgabe liegt genau im Schnittpunkt von Psychologie, Marketing und Architektur. Wir inspirieren Augenoptiker und Ladenbesitzer, eigene Ideen und Visionen für ihren Shop zu entwickeln, um diese dann gemeinsam mit den Ladenbauern und Shopdesignern zu realisieren. Denn sie sind es, die die Visionen präzise und kraftvoll umsetzen können.
Kategorie: Aktuell