Ideen und Strategien für eine erfolgreiche Zukunft im Retail

14. September 2012 Mehr

Sven Carsten Alt 

Der Handel ist im Umbruch. Die Industrie entdeckt den Handel und wird zum Wettbewerber um die Gunst der Kunden und der guten Standorte. Flagship Stores erobern die Innenstädte und entwickeln sich zum urbanen Laufsteg bekannter Marken. Die Markenindustrie vermisst ganz offensichtlich Marketingkompetenz beim Handel, setzt sich selbst in Szene und demonstriert Stärke. Individualisierung steht im Fokus, und da vertraut die Industrie nur sich selbst.

Die Kontrolle der Vertriebswege ist für Hersteller entscheidend, um das Markenerlebnis in der gewünschten Form entlang der gesamten Erlebniskette steuern zu können. Die aktuelle Initiative von Adidas, auch online bei Absatzmittlern die Kontrolle über den eigenen Auftritt zu sichern, verdeutlicht das immense Bemühen der Unternehmen nach markengerechter Inszenierung ihrer Produkte und Services.
Aufwendig gestaltete Shopping Center und Malls verdrängen antiquierte Warenhausformate, die alles für alle sein wollten. Outlet-Welten auf der grünen Wiese sprießen aus dem Boden. Anspruchsvoller, informierter, neugieriger und wesentlich smarter sind die Kunden von heute. Erlebnis und Entertainment werden erwartet. Shoppen soll Spaß machen und ist aktive Freizeitgestaltung.
Neben der Lust an der Verführung und am klassischen Shoppen ist ein steigender Wettbewerbsdruck durch E-Commerce zu beobachten. Moderne Datenkommunikation macht Einkaufen praktisch überall und zu jeder Zeit möglich. Online Shopping Clubs, Social-Gifting-Dienste, Mobile Commerce und Smart Devices haben die Bedürfnisse und das Konsumverhalten radikal verändert. Der Point of Sale verlagert sich in virtuelle Räume.
Was bereits vor vielen Jahren im Elektro-Einzelhandel zu beobachten war, droht auch anderen Branchen: der Tod am „showroomingeffect“. Das heißt, der Konsument nutzt das Fachgeschäft für die Begutachtung der Ware, Beratung und Service. Gekauft wird aber im Discount oder im Internet.

Alle Wege führen zum Kauf

Ein ausgewogenes und fein orchestriertes Multi-Channel-Konzept ist für den Handel unerlässlich. Alle Vertriebswege werden markengerecht aufeinander abgestimmt und bringen mehr Umsatz für alle Beteiligten. Eine raffinierte Vernetzung von Online- und Offline-Aktivitäten und intelligente Cross-Selling-Verfahren können oftmals die entscheidenden Impulse für mehr Erfolg geben. Kommunikation und Vertrieb müssen Hand in Hand gehen und sich an den dezidierten Bedürfnissen der Kunden orientieren. Dies bedingt auch radikale Umstellungen etablierter Vertriebsstrukturen und lieb gewonnener Provisionssysteme.

Marke, Innovation, Design

Der Handel punktet üblicherweise mit der Diagnose und Auswertung von Shopper Insights. Er weiß, wann wird wie, wo, was alleine oder zusammengekauft – die Laufweggestaltung, das Category Management und die Preisgestaltung sind seine Kernkompetenzen. Dieses Wissen um das Käuferverhalten reicht aber nicht mehr aus, um zu begeistern. Es gilt stattdessen, tiefergehend zu analysieren und Consumer Insights zu gewinnen: Verwenderansprüche, Nutzerverhalten, Gebrauchsmotive und -Situationen der Kunden, Symbolwirkung von Besitz, die Markenwirkung im Beruf, zu Hause und auf der Straße.
Wenn der Handel nicht auf seine Distributionsfunktion reduziert werden möchte, ist ein grundlegend neues Selbstverständnis nötig. Die Strategie „Mehrwert durch Differenzierung“ läuft über die Themenfelder Marke, Innovation und Design.
Um der Beliebigkeit der Einkaufsstättenwahl etwas entgegenzusetzen, ist die eigene unverwechselbare Marke ein optimales Rezept. Die Marke muss einen ursprünglichen Nutzen entfalten. Egal, ob Funktion, Image, Ästhetik oder Fun, das eigene Leistungsversprechen wird inszeniert und ganzheitlich in Szene gesetzt.

Design-Drives-Desire-Studien zeigen, dass richtungweisendes und strategisch fundiertes Design begeistert, differenziert und erfolgreich macht. Der Shop ist die Bühne und der entscheidende Ort, an dem das Markenversprechen mit allen Sinnen eingelöst und erlebbar bleibt. Nur faszinierende, mit allen Sinnen erlebbare Inszenierungen im Raum können Kunden berühren und erreichen. Duft, Licht, Geschmack, Raumeindruck, haptische Sinneswahrnehmungen und das persönliche Gespräch werden auf absehbare Zeit nicht virtuell zu simulieren sein. Ein mit allen Sinnen erfahrbares Markenerlebnis im Handel ist noch ohne wirkliche Alternative.
Innovationen schaffen einen Wettbewerbsvorsprung und damit Mehrwert. Unkonventionelle, auch mal provokante Ideen und kreative Herangehensweisen bestechen in diesem Kontext.
Neue Konzepte, Standorte, Formate, Medien und Services müssen exploriert werden, um ein multisensorisches Erlebnis und markenadäquates Entertainment im Handel zu schaffen.
Aber auch klassische Ladenbau-Disziplinen, die auf Material, Licht, Raumwirkung, Gestaltung und ein professionelles Virtual Merchandising im Handel fokussieren, bleiben von hoher Relevanz für die Suche nach der Einzigartigkeit und damit für das Erlebnis im Handel.

Integriertes Branding entlang der gesamten Erlebniskette

Ein Markenentwicklungsprozess beginnt mit einer Customer Journey, die das Markenerlebnis im Handel aus Sicht aller Zielgruppen analysiert und bewertet. Die Ergebnisse sind grundlegende Voraussetzung für einen strategisch fundierten Planungs- und Designprozess.
Im Anschluss werden die relevanten Alleinstellungsmerkmale einer Marke im Wettbewerb herauskristallisiert. Nur klare Botschaften können Zielgruppen erreichen. Die Bedürfnisse der Zielgruppen müssen detailliert analysiert und verstanden werden, um die richtige Ansprache und Segmentierung im Multi-Channel-Vertrieb zu finden. Die Markenpositionierung und eine kreative Leitidee bilden dabei die strategische Plattform. Sie definieren die Gestaltung des Auftritts und der Kommunikation der Marke an allen Berührungspunkten: im Web, in der Kommunikation, im Print, im Retail, aber auch beim Engagement und Verhalten der eigenen Mitarbeiter.
Im weiteren Prozess sollten zunächst die Marken prägenden Elemente entwickelt und verbindlich definiert werden. Logo, Schriften, Farben, eine markentypische Formensprache, eine eigene Sprache sowie akustische und olfaktorische Markenelemente sind die Ingredienzien, aus denen im weiteren Verlauf – und je nach Anforderung – das Markenbild auf den unterschiedlichen Bühnen, wie Online, Print und Shop kreiert werden. Auch und vor allem die Shop-Gestaltung folgt hierbei der zuvor entwickelten Leitidee der Marke: Grundrissplanung, Lichtführung, Fassadengestaltung, Schaufenster, Möbel, Materialien, Store-Kommunikation und Visual Merchandising müssen ein stimmiges Ganzes ergeben und dabei wirtschaftlichen Anforderungen genügen.
Last, but not least gilt es, das entwickelte Markensystem für die Implementierung und den Roll-out so zu dokumentieren und zu beschreiben, dass ein effizientes Management möglich ist. In der Praxis haben sich hierbei drei unterschiedliche Werkzeuge bewährt: erstens, das CD-Manual. Es beschreibt die Markenidee inhaltlich und beinhaltet gestalterisch verbindliche Richtlinien für alle Markenanwendungen. Zweitens das Store-Manual, welches planerische Prinzipien und gestalterische Vorgaben für alle Shop-Formate dokumentiert. Und drittens, das Mitarbeiter-Handbuch, welches, ausgehend von der Markenidee, den Auftritt, das Verhalten und die Kundenkommunikation verbindlich beschreibt (Corporate Behaviour) und Vorgaben für das Visual Merchandising illustriert. Insbesondere für das Einschwören der Mitarbeiter auf die entwickelte Markenidee müssen darüber hinaus Maßnahmen entwickelt werden. Von Zeit zu Zeit gilt es das entwickelte Markensystem und die jeweiligen Umsetzungen, auch die Shop-Gestaltung infrage zu stellen.
Hierbei stellt die Orientierung an Trends eine große Gefahr dar, weil allzu oft das Markenbild leichtfertig verwässert wird. Statt einem Trend hinterherzulaufen, gilt es, einen eigenen Weg zu finden und vielleicht sogar einen (Gegen-)Trend zu setzen. RFID Chips, QR Codes, smarte Schaufenster und Kleiderbügel, Location-Based Services, Augmented Reality Software mit interaktiven Erlebnismöglichkeiten, digitale Screens am POS, virtuelle Umkleideräume und vieles andere mehr erschließen zwar völlig neue Möglichkeiten, die das Einkaufen bunter, spannender und vernetzter gestalten können. Die Beurteilung, ob sie zum Einsatz kommen oder nicht, sollte aber stets aus Sicht der Marke und ihrer Zielgruppen geschehen.

Retail hat Zukunft

Mutige, einfallsreiche Strategien, intelligente Multi-Channel-Konzepte und unkonventionelle Ideen sind notwendig, um wirklich ansprechende und faszinierende Markenerlebnisse im Handel zu schaffen. In einem balancierten Dreiklang aus Marke, Innovation und Design liegen die Erfolgs- und Wertschöpfungsfaktoren für den Handel der Zukunft.
Wer über den berühmten Tellerrand und über „Kanal-Grenzen“ (Stichwort „Multi Channel“) hinausdenkt, Neues ausprobiert und dabei Fehlversuche zulässt, wird auch zukünftig erfolgreich sein.

 

 

Sven Carsten Alt leitet als Managing Partner zusammen mit Heiko Hinrichs und Lukas Eichenberg die Geschicke der SYNDICATE DESIGN AG. Der 47-Jährige ist zuständig für Strategie und Beratung. Kontakt: info@syndicate.de

SYNDICATE DESIGN AG

1992 in Hamburg gegründet, ist eines der führenden Unternehmen für strategisches Design in Europa. Kernkompetenz ist die ganzheitliche Entwicklung von Unternehmens- und Markenauftritten. Die Agentur vereint alle Strategie- und Designdisziplinen sowie die komplette Expertise für die technische Umsetzung unter einem Dach. Das Leistungsspektrum umfasst Namensfindung, Retail Branding, Shop Design, Corporate Architecture sowie Corporate Identity & Design.
Das 65-köpfige Team arbeitet beispielsweise für Skoda, Sennheiser, Gebr. Heinemann, Mobilcom-Debitel, Danone Waters, Ferrero, HiPP, Nestlé, Philips und Tchibo.
Info: www.syndicate.de 

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Kategorie: Projekte

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